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Das Zwerchfell – zentrales Element für Stimme und Gesang

Interview mit Charlotte Weiss

Charlotte Weiss hat klassischen Gesang studiert, sie singt und unterrichtet als Gesangs- und Atempädagogin in Wien. Sie beschäftigt sich schon seit rund 30 Jahren mit dem Thema Atem und Stimme.

Charlotte Weiss © Lilly Strauss

atem austria: Liebe Charlotte, du hast ja eine klassische Gesangsausbildung, lass uns doch gleich daran anknüpfen: Inwiefern unterscheiden sich die herkömmlichen Atemübungen für Sänger:innen von denen der Atempädagogik?

Charlotte: In der klassischen Ausbildung fällt immer wieder der Begriff „Stimm- und Atemfunktion“ Es geht also mehr um Funktionelles: das Ziel beim Singen ist es, den Atem willentlich zu führen und die Atem-Muskulatur zu kräftigen. Und man übt auch den reflektorischen Einatem. Das ist ein reflexartiger Einatem, der kommen kann, wenn ich die Ausatemmuskulatur schnell entspanne. Ziel ist die Kräftigung der Atemmuskulatur und das Perfektionieren des Stimmsitzes und des Stimmklangs.

In der Atempädagogik auf Basis der Middendorf Methode stehen das Fließenlassen des Atems, die Körper- und Selbstwahrnehmung und das Erfahren des Atems im Vordergrund — ohne willentliches Zutun und ohne Zielsetzung.

atem austria: Du arbeitest ja mit Menschen, die ihre Stimme verbessern möchten, aber natürlich auch mit Profisänger:innen. Inwiefern hat die Ausbildung zur Atempädagogin deine Arbeit beeinflusst bzw. verändert?

Charlotte: Der Entschluss zur atempädagogischen Ausbildung war ein entscheidender Schritt, der mich in meinem Selbstbewusstsein als Künstlerin unglaublich gestärkt hat. Auch der Sing-Vorgang an sich hat sich bei mir mehr und mehr entspannt, da das geistige und körperliche „Abkoppeln“ von Wettbewerb und Leistungsdenken Voraussetzung waren für das Einlassen auf die Selbstwahrnehmung und Achtsamkeit.

atem austria: Das heißt, die Atempädagogik hat dich mehr zu dir gebracht, kann man das so sagen?

Charlotte: Gewissermaßen ja, in der Atempädagogik steht ja der Prozess im Vordergrund und schon allein die Aussage „Es gibt kein Richtig und kein Falsch“ haben in mir einen geistigen und körperlichen „Heilungsprozess“ initialisiert. Das erlebe ich auch bei meinen Gesangsschüler*innen — das Fließenlassen des Atems und das atempädagogische Tönen ist auch für Sänger*innen äußerst heilsam. Denn — nur aus der Ruhe kommt die Kraft! Viele Sänger*innen stehen unter enormem Druck und werden „verheizt“, Stimme und Psyche können erkranken und erholen sich nur langsam oder gar nicht. Da kann ich nur dazu raten, zum Ursprünglichen zurückzugehen. Zum ursprünglichen Atemfluss also und mit einfachen atempädagogischen Bewegungsübungen zu beginnen, nach und nach werden dann auch die Übungen mit Tönen dazugenommen.

atem austria: Du sprichst vom Ursprünglichen, und dass es wichtig ist, dorthin zurückzukehren.

Charlotte: Ja, Babys beispielsweise schreien, glucksen, quietschen, singen, summen – und all das, ohne heiser zu werden! Oder man beobachte, was sich auf körperlicher Ebene bei einem bellenden Hund oder einer miauenden Katze tut. Babys und Tiere denken nicht darüber nach, was sie tun und wie ihre Laute klingen. Auch für uns Menschen ist es wichtig, zu unseren Urklängen und Urlauten zurückzufinden. Und dann kommen, darauf aufbauend, die Stimmbildung, die Inhalte, das „Polieren“ und die Ästhetik hinzu, die den sogenannten „Kunstgesang“ letztendlich vollendend ausmachen. Klassisches Singen ist ja wie überhöhtes emotionalisiertes theatralisches Sprechen.

Dieser Prozess ist auch wichtig, denn gutes stimmliches „Rohmaterial“ alleine ist natürlich nicht alles. Was jemand aus seinem stimmlichen Potential formt, hängt letztendlich von der jeweiligen Person selbst ab. Nicht jeder erkennt in einem normalen Stein einen Diamanten, nur wenige schleifen diesen Stein so lange, bis ein wunderschöner Diamant hervorfunkelt.

atem austria: Es braucht also einiges an Arbeit, Bemühen und Aufwand, um die Stimme professionell zu schulen. Gibt es so etwas wie ein zentrales Element beim Singen, egal, ob ich nun Anfänger:in bin oder Profi?

Charlotte: Das Zwerchfell ist auch beim Singen ganz zentral. Es hilft uns bei der Atem- und Stimmführung. Mit dem Einatem wird das Zwerchfell nach unten gedehnt, die darunter liegenden Eingeweide werden in Richtung Beckenboden förmlich „gedrängt“. Wenn ich nun singe, verlängere ich den Ausatem und das Zwerchfell bleibt somit auch länger in dieser gedehnten Stellung. Damit kann ich auch eine lange Phrase problemlos singen.

atem austria: Heißt das, die Entspannung der Zwerchfell-Muskulatur durch das Ausatmen passiert sozusagen in „Zeitlupe“?

Charlotte Weiss: Genauso ist es! Das sind eigentlich zwei unterschiedliche Bewegungsarten: das Zügeln der ausströmenden und mit Klang versetzten Luft beim Singen und der darauffolgende rasche reflektorische Einatem. Um die nächste Phrase genauso gut weitersingen zu können, müssen Zwerchfell und Bauchmuskeln rasch entspannen, ein schneller Einatem-Sog durch die Lungen folgt wie beim Aufpumpen einer Luftmatratze. Das ist nur mit einer elastischen Atemmuskulatur möglich. Daher sollte man es mit dem Six-Pack-Training nicht übertreiben!

atem austria: Du hast zwei Atem- und Gesangsübungen für den Newsletter ausgewählt, kannst du kurz erläutern, was man im Speziellen damit übt?

Charlotte: Die eine Übung ist eine Summ- und Vibrationsübung, die andere heißt Kicherübung. Mit der ersteren verlängern wir den Ausatem, die zweite Übung regt das Zwerchfell an und erleichtert uns den reflektorischen Einatem. Beide Übungen sind geeignet sowohl für Anfänger*innen als auch Fortgeschrittene.

atem austria: Wer sich darüber hinaus noch intensiver mit der eigenen Stimme beschäftigen möchte, der kann gerne bei dir persönlich einen Kurs oder einen Einzeltermin buchen. Und selbstverständlich gibst du auch Unterricht für Profis.

Charlotte: Ja, klar, meine Kurstermine stehen auf der atemaustria-Homepage. Anfragen für Einzeltermine (Gesangsunterricht/Atempädagogik) kann man jederzeit stellen: voce@live.de, www.atemschwingung.com, +43676 7461698

atem austria: Liebe Charlotte, herzlichen Dank für das Interview!

6. Oktober 2023


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