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Interview mit Renate Kohler

Renate Kohler

atem austria: Liebe Renate, du bist von deinem Grundberuf Dipl. Krankenpflegerin, was hat dich zur Atemarbeit gebracht?

Renate: Ich arbeitete von 1996 bis 2001 als Krankenpflegerin auf der Palliativstation St. Johannes von Gott in München. Dort begann zur selben Zeit Ira Summer, die auch bei Herta Richter im Atemhaus ausgebildet wurde.
Auf der Palliativstation ist neben dem Schmerz, Atemnot ein Hauptsymptom.
Mich faszinierte, wie Ira durch Berührung Atemnot lindern konnte. Das wollte ich auch lernen. So entschloss ich mich für die Atemausbildung im Atemhaus Herta Richter (2000-2005).

atem austria: Herta Richter ist ein wohlklingender Name in den Kreisen der Atempädagog:innen – was ist das Besondere an der Ausbildung im Atemhaus?

Renate: Ich hatte das Glück Herta Richter noch persönlich kennen zu lernen und von ihr unterrichtet zu werden. Herta hat sehr frei und freilassend unterrichtet, es gab oft wenig bzw. nur einfache Struktur. Das ermöglichte mir ganz zu mir selbst zu gehen und aus dem eigenen Atem zu schöpfen. Es geschah vieles aus dem Augenblick heraus, wenn sie anleitete. Sie sah ihre Schüler:innen als Gruppe und aus dem Hier und Jetzt entstanden bestimmte Übungen, die sie anleitete.
Herta Richter hatte neben Ilse Middendorf auch Cornelius Veening und Johannes Ludwig Schmitt als Lehrer. Dr. Schmitt lehrte sie die Atemmassage. Diese Wissen gab sie auch an ihre Schüler:innen in der Ausbildung in einem Trimester weiter.

atem austria: Du selbst bietest diese Atemmassage an. Wann und wie wendest du diese an und wodurch unterscheidet sie sich zur Atembehandlung?

Renate: Bei der Atemmassage wird der Atem mehr körperlich angesprochen. Sie erfolgt über direktem Hautkontakt mit Öl. Vorbereitend wird eine warme Kompresse aufgelegt. Die verschiedenen Massagegriffe bewirken reflektorisch eine Veränderung des Atemgeschehens. Auch hier ist wie bei der Behandlung die „Atemantwort“ richtungsweisend. Die Atemmassage kann den freien Atemfluss fördern und unterstützen. Ein auf diese Weise befreiter Körper ist für den Atem durchlässiger. Die Atemmassage ist geeignet für Menschen mit geringem Körperbewusstsein, Menschen mit starken Verspannungen und Körperfehlhaltungen. Die Atemmassage kann beim Lösen der Spannungen auch schmerzhaft sein.

atem austria: Dein besonderes Anliegen gilt der palliativen Atemarbeit – in welcher Weise kann die Atemarbeit hier wirken?

Renate: Palliative Atemarbeit ist eine ganzheitliche Behandlungsweise. Sie aktiviert, stützt und stärkt den natürlichen Atem in seinem Rhythmus, seinem Fluss und in der Tiefe und Intensität. Dies geschieht durch die Behandlungen, durch Übungen mit dem Atem und im Gespräch. In der Atembehandlung arbeite ich mit fließenden Streichungen, geführten Bewegungen, sanftem Druck, leichten Massagen, und mit immer wieder ruhendem Kontakt der Hände auf dem Leib. Entscheidend ist die Qualität in den Händen: Präsenz, Offenheit und Wachheit für den Menschen während der Berührung. Sie lädt ein den Körper und den Atem bewusst wahrzunehmen. Diese meist nonverbale Kommunikation während der Behandlung ermöglicht es auch Menschen zu erreichen, die sich nicht mehr äußern können und begleitet später auch den Sterbeprozess. Die Berührung und die Arbeit mit dem bewussten Atem ermöglichen es, sich dem Geschehen zu überlassen und innerlich mitzugehen. Sterbende, berühre ich noch achtsamer und oft weniger direkt, ich bin da und atme mit. Ich zeige Angehörigen, dass sie zum Beispiel bei langen Atempausen des Sterbenden, den Atem nicht anhalten, sondern im eigenen Rhythmus gut weiteratmen.

atem austria: Wie erlebst du die Atembegleitung im Sterben:

Renate: Im Atem wird sichtbar, wenn jemand bereit ist zu gehen. Im Sterbeprozess ändert sich der Atem. Es gibt verschiedene Formen des Atems im Sterben, alle haben aber gemeinsam, dass sich der Rhythmus zwischen Einatmen-Ausatmen und Pause umstellt. Im Sterbeprozess können die Pausen viel länger werden, manchmal minutenlang, bis der Einatem wieder kommt. Für mich ist es ein sanftes Sterben, wenn jemand gerade in einer solchen Atempause gehen kann. Ich vergleiche das dann auch gerne mit einer Flamme, die langsam auslöscht: sie wird immer weniger, bis sie aufhört zu brennen.

atem austria: Du praktizierst selbständig in eigener Praxis in Andelsbuch. Was bietest du für deine Klient:innen an?

Renate: Ich biete vor allem Atembehandlungen und Atemmassage an. In meine Atempraxis kommen häufig Klient:innen mit Atemnot. Darin habe ich durch meine palliative Tätigkeit viel Erfahrung.
Gerne behandle ich auch Schwangere. Das ist für mich auch eine Schwelle, nämlich die zum Leben. Doch auch Menschen, die einmal einen Blick nach innen werfen wollen, um sich mit ihren Gefühlen auseinanderzusetzen, finden den Weg zu mir.  
Atempädagogik eignet sich auch gut zur Prävention, zum Beispiel wenn Menschen sich gestresst und erschöpft fühlen.
Zusätzlich gebe ich Atemgruppen und Workshops. Meine Workshop Reihe, die ich mit meiner Atemkollegin Ingrid Bröthaler gebe, verbindet Chakra-Atmen-Malen miteinander. Verbunden mit dem jeweiligen Chakra und dem Atem in den kreativen Ausdruck des Malens zu gehen, finde ich stärkend und berührend.

atem austria: Renate, du liebst Gedichte, fällt dir zum Atem ein Gedicht ein?

Renate: Ja, ich möchte aus meiner Sammlung von Atemgedichten gerne folgendes Zitat von Herta Richter mit euch teilen. Es drückt für mich sehr gut aus, was mir selbst der Atem und die Atemarbeit bedeuten.

Auf dem Weg nach innen,
im Anschluss an den Atem,
findet der Mensch
zu seinem Aller-Eigensten,
zu seinem Wesen.


Herta Richter

atem austria: Liebe Renate, wir danken dir für das Interview!

14. April 2025


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