Interview mit Hannah Rausch

atem austria: Liebe Hannah, du hast langjährige Erfahrung als Atempädagogin und bist eine der wenigen Atemkolleg:innen, die noch bei Ilse Middendorf persönlich die Ausbildung machen durften – wie hast du diese Zeit erlebt?
Hannah: Ilse Middendorf war eine sehr inspirierte Lehrerin, die großen Wert auf die ganzheitliche Wirkung des Atems legte. Sie sah die Atemarbeit nicht als begleitende Gesundheitsmaßnahme, sondern als vollständigen Ansatz zu persönlichem Wachstum auf allen Ebenen. Eine besondere Qualität der berufsbegleitenden Ausbildung, die damals (in den 90er Jahren) 5 Jahre dauerte, war viel Zeit für persönliche Prozesse und Entwicklungen.
atem austria: Dein Grundberuf ist Hebamme, inwiefern hast du die Middendorf’sche Atemarbeit in deinem ursprünglichen Beruf als Hebamme integriert?
Hannah: Die wesentliche Basis des „Erfahrbaren Atems“ ist das Zulassen des Atems – und das Zulassen und Aufgeben von Kontrolle ist auch die Grundlage einer geglückten Geburt.
Ein angepasster Umgang mit traditionellen Atemübungen in der Vorbereitung kann ihre Wirkung vervielfachen, und Wahrnehmungsübungen in Atem und Bewegung während der Schwangerschaft unterstützen den Kontakt zum eigenen Körper. Das erleichtert den optimalen Umgang mit der Geburtssituation.
atem austria: Dein Motto auf deiner Website ist: “ Besser atmen – besser leben. Mehr Energie und Authentizität durch Atemarbeit“ – ist das deine Erfahrung mit dem frei fließenden Atem?
Hannah: Ja. Der frei fließende Atem versorgt uns immer mit genau so viel Sauerstoff und Energie wie wir benötigen, bzw. entspricht genau den Ressourcen, die unser Organismus gerade zur Verfügung hat. Sowohl forcierter als auch gehemmter Atem belasten den Körper unnötig.
Und authentisch heißt ja echt und nicht gemacht, und wenn der Atem echt sein darf, ist das grundlegend. Ich darf so sein wie ich bin, und das strahlt durch: ich folge meinem körperlichen Bedürfnis im Sein und werde als ganze Person einleuchtend.
atem austria: Du bist Gründungsmitglied des Berufsverbandes atem austria, hast mit Norbert Faller gemeinsam in der atempädagogischen Ausbildung unterrichtet, du hast Buch-Beiträge verfasst und arbeitest seit vielen Jahren sehr aktiv bei uns mit! Es scheint dir ein Anliegen zu sein, diese Atemarbeit zu verbreiten. Ist genug für „Nachwuchs“ von AtempädagogInnen gesorgt?
Hannah: Leider gibt es zur Zeit keine Ausbildung in Österreich. Für kommende Angebote wünsche ich mir genügend Zeit für Eigenerfahrung während der Ausbildung, weil ja das Lernen neben der Aneignung von praktischem Wissen und Handwerk idealerweise auch einen Wachstumsprozess einschließt. Der lässt sich nur begrenzt beschleunigen. Und selbstverständlich würde mehr offizielle Anerkennung unserer Arbeit den Einstieg ins Berufsleben und den Verbleib im Beruf sehr unterstützen.
atem austria: Du hast auch eine Ausbildung in „Sensory Awareness“ bei Charlotte Selver (USA) gemacht. Gibt es bei dieser Methode viele Parallelen zur Middendorf’schen Atemlehre?
Hannah: In beiden Ansätzen geht es um das Erspüren und Zulassen dessen was ist und was im Organismus geschieht. „Wie möchte es in mir sein?“ Also keine äußere Form, kein Idealbild, kein Richtig und Falsch, sondern offen und bereit sein für das was ist, sich selbst so annehmen wie man ist. Darauf vertrauen, dass unser Organismus sich selbst heilen bzw. neu regulieren kann, wenn wir ihn lassen. Sensory Awareness bezieht noch mehr alle anderen körperlichen Vorgänge neben dem Atem mit ein, und Charlotte Selver war meine wichtigste Lehrerin, noch vor Ilse Middendorf, bei der ich mich dann auf den Atem spezialisieren konnte.
atem austria: Gibt es einen speziellen Ansatz in deiner Arbeit als Atempädagogin?
Hannah: Ich glaube, dass die Atemarbeit neben den offensichtlichen positiven Wirkungen auf die körperliche Gesundheit auch die persönliche Entwicklung auf besondere Weise unterstützt. Sie hilft uns, uns neu kennenzulernen, uns anzunehmen und zu uns zu stehen.
Sokrates, dessen Mutter Hebamme war, hat den Begriff Maieutik (griech.: Hebammenkunst) geprägt und damit einen Ansatz gemeint, der keine Antworten gibt, sondern Menschen dazu bringt, ihre eigenen Wahrheiten wiederzufinden („zu gebären“). In diesem Sinne möchte ich mich gerne als Maieutikerin bezeichnen. Mein Schwerpunkt liegt vor allem auf der Einzelarbeit.
atem austria: Bietest du aktuell Kurse für Schwangere und Mütter an?
Hannah: Ich biete keine Gruppenkurse mehr an, betreue aber Schwangere einzeln mit unterstützenden Übungen und auch Behandlungen im Liegen, sowohl mit Atemarbeit als auch auf Wunsch mit Hebammenwissen (auch für Paare). Wöchnerinnen besuche ich auf Wunsch zu Hause.
atem austria: Du hast 2 Übungen ausgewählt, kannst du uns kurz etwas dazu sagen?
Hannah: Beide Übungen haben mit unserer Mitte zu tun. Die eine unterstützt uns im „Nach Außen Gehen“, die andere im „Bei Uns Ankommen“. Sie ergänzen sich. Diese Qualitäten brauchen wir im Alltag, und eine starke Mitte ist auch eine große Hilfe für das Stehen zu sich und das Bestehen in der Umwelt.
atem austria: Liebe Hannah, wir danken dir für das Interview!
31. März 2025
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