Interview mit Christina Buder
atem austria: Liebe Christina, wie hat dich dein Lebensweg zum Atem geführt?
Christina: Das war letztlich ein sehr langer Weg. Ich bin aus Wien und habe Politikwissenschaft studiert. Danach war ich viele Jahre in der feministischen Entwicklungszusammenarbeit als Bibliothekarin und in der Bildungsarbeit engagiert. Ich war sozusagen Kopfarbeiterin. Mit fast vierzig Jahren ist in mir der Wunsch entstanden, neben meiner intellektuellen Seite auch andere Facetten zu erkunden, die Einseitigkeit zu überwinden. Außerdem war ich des Wartens auf bessere Zeiten müde, ich wollte konkretere Erfolge meiner Arbeit sehen. Also habe ich berufsbegleitend die Ausbildung zur Gewerblichen Masseurin gemacht und später die Zusatzqualifikation als Heilmasseurin. Ich arbeite jetzt seit 15 Jahren in einer Rehaklinik für Lymphödempatient:innen in Tirol. Dann war es wieder Zeit für eine Weiterentwicklung, dann kam der Atem in mein Leben.
atem austria: Was hat dich dazu bewegt, dich mit dem Atem zu beschäftigen?
Christina: Ich hatte schon Fortbildungen zu verschiedenen Atemtechniken im Rahmen meiner Arbeit gemacht, aber die haben sich nicht verinnerlicht. Nach und nach intensivierte sich mein Bedürfnis nach mehr Selbsterfahrung, nach einer intensiveren Verbindung von Körper, Geist und Seele. Außerdem ist auch in meiner Arbeit, der Manuellen Lymphdrainage nach Dr. Vodder, die Atembewegung, insbesondere ein gut schwingendes Zwerchfell, von großer Bedeutung. Ihr wird aber noch nicht die notwendige Aufmerksamkeit geschenkt. Per Zufall bin ich dann auf Norbert Faller gestoßen und habe mich sofort für den Lehrgang angemeldet. Bereits nach dem ersten Vorbereitungsseminar war ich dieser Methode verfallen. Ich sah einen Weg, mein innerliches Bedürfnis nach persönlicher Weiterentwicklung mit der praktischen Anwendung in meinem Beruf zu verbinden.
atem austria: Welche Aspekte der Atempädagogik fallen bei dir in der Selbst- erfahrung auf fruchtbaren Boden?
Christina: Zuerst ganz praktische positive Auswirkungen der Übungen auf meinen Bewegungsapparat, der durch meine Arbeit immer wieder Hinwendung verlangt um nicht zu schmerzen.
Vor allem ist es aber dieses sich selbst kennenlernen durch den Atem, das Atemgespräch mit sich selbst. Dieses langsame, ganz zarte Erspüren der eigenen Bedürfnisse, die Erfahrung, dass alles in einem selbst angelegt ist. Die Selbstkontrolle ebenso wie die Fremdbestimmung lösen sich beim Üben in Nichts auf – sehr wohltuend! Ein frei fließender Atem ist eine wahre Befreiung auf allen Ebenen.
atem austria: Kannst du kurz beschreiben, warum du die Atemarbeit auch für deine Patient:innen so hilfreich findest?
Christina: Das Leben mit einer chronischen Erkrankung wie dem Lymph- und Lipödem, die mit dicken Armen und Beinen auch sichtbar ist, nimmt vielen Patient:innen den Atem. Bewegungseinschränkungen blockieren zusätzlich einen frei fließenden Atem. Das Körpergefühl ist oftmals lückenhaft und die Seele trauert. Im herkömmlichen Gesundheitswesen sind sie meistens mit Anforderungen, mit Leistungsansprüchen und mit Kennzahlen konfrontiert, die nicht den ganzen Menschen anerkennen sondern nur den kranken Teil in den Fokus nehmen. Immer ein Sollen, ein Müssen. In einer Atemstunde erfahren die Patiennt:innen, wie wohltuend es ist, sich wertfrei beobachtend zu empfinden und das Befreiende des zulassen Dürfens. Weniger ist Mehr um die Kraft des Atems zur Stärkung von Seele, Geist und Körper zu erfahren.
atem austria: An welche Grenzen stößt du dabei?
Christina: Ilse Middendorf erdachte die Atemarbeit als persönlichen Entwicklungsprozess, der sich oft über Jahre hinweg entfalten sollte. Im Rahmen der von den Krankenkassen übernommenen Leistungen ist dafür (noch) kein Platz.
Meine Patient:innen sehe ich nur kurz, ich kann nur „Schnupperangebote“ wie etwa Hockerstunden im Rahmen freiwilliger Aktivitäten anbieten. Oder ich integriere einzelne Griffe in meine normale Massage/Lymphdrainage. Aber es ist ein Anfang.
atem austria: Warum bist du Mitglied bei atem austria?
Christina: Vernetzung ist essentiell. Der persönliche Erfahrungsaustausch ist bereichernd und hilfreich für die eigene Atemarbeit und stärkt mir enorm den Rücken bei der Vermittlung der Atempädagogik. Ich fühle mich unterstützt, wenn ich bei einschlägigen lymphologischen Kongressen und Selbsthilfegruppen versuche, unsere Methode als Teil der Selbstfürsorge zu promoten. Auch bietet atem austria den Rahmen für Fortbildungen, die sonst so spärlich zu finden sind. Nur gemeinsam ist es möglich, mehr Anerkennung für unsere Atemarbeit – auch im Gesundheitswesen – zu erreichen.
atem austria: Liebe Christina, wir danken dir für das Interview!
3. Juli 2025
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